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35-Stunden-Woche und RTT

Die Arbeitszeitregelungen in Frankreich unterscheiden sich erheblich von denen in Deutschland. Während in Deutschland eine wöchentliche Arbeitszeit von 38 bis 40 Stunden die Norm ist, gilt in Frankreich die gesetzliche 35-Stunden-Woche. Ergänzend dazu gibt es das RTT (Réduction du Temps de Travail)-System, das es Unternehmen erlaubt, die über diese 35 Stunden hinausgehende Arbeitszeit in Form von zusätzlichen freien Tagen zu kompensieren.

Für deutsche Unternehmen, die in Frankreich tätig sind oder dort Personal einstellen, stellt diese Regelung eine Herausforderung dar. Die Anpassung der internen HR-Politik an das französische Arbeitsrecht ist nicht nur eine Frage der Compliance, sondern auch der Wettbewerbsfähigkeit. Dieser Artikel erläutert die Besonderheiten der 35-Stunden-Woche, der RTT-Regelung und der Überstundenvergütung in Frankreich und gibt konkrete Empfehlungen, wie deutsche Unternehmen ihre Personalstrategie entsprechend anpassen können.

1. DIE 35-STUNDEN-WOCHE: GESETZLICHE GRUNDLAGEN UND AUSNAHMEN

Die 35-Stunden-Woche wurde im Jahr 2000 mit dem Loi Aubry eingeführt. Ziel war es, die Beschäftigung zu fördern, indem die wöchentliche Arbeitszeit reduziert und neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Die Maßnahme sollte gleichzeitig eine bessere Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben ermöglichen. Dadurch entsteht eine gewisse betriebliche Flexibilität, die sowohl den Unternehmenszielen als auch den Bedürfnissen der Arbeitnehmer Rechnung trägt.

1.1 Gilt die 35-Stunden-Woche für alle?

Grundsätzlich betrifft die 35-Stunden-Regelung fast alle Angestellten des privaten Sektors. Es gibt jedoch wichtige Ausnahmen:

  • Führungskräfte (Cadres Dirigeants): Hochrangige Manager sind von dieser Regelung ausgenommen und können längere Arbeitszeiten ohne Überstundenvergütung haben.
  • Bestimmte Tarifverträge (Conventions Collectives): Einige Branchen haben spezifische Vereinbarungen, die längere Arbeitszeiten erlauben. Beispielsweise haben die Metall- oder IT-Branche häufig angepasste Regelungen.
  • Sonderregelungen für kleine Unternehmen: In Betrieben mit weniger als 20 Mitarbeitern sind flexiblere Lösungen oft zulässig.

1.2 Flexibilität innerhalb der 35-Stunden-Woche

Viele Unternehmen umgehen die strikte 35-Stunden-Regelung durch verschiedene Anpassungen:

  • Jährliche Arbeitszeitberechnung: Unternehmen können die Arbeitszeit über das gesamte Jahr verteilen, um Schwankungen in der Arbeitsbelastung auszugleichen.
  • Teilzeitverträge: Um mehr Flexibilität zu erhalten, setzen einige Firmen auf vertraglich geregelte Teilzeitarbeit.
  • Rückgriff auf RTT oder Überstunden: Mehrarbeit wird oft durch das RTT-System ausgeglichen oder mit Überstundenzuschlägen vergütet.

Obwohl die 35-Stunden-Woche als gesetzliche Norm gilt, wird sie in vielen Unternehmen in der Praxis durch RTT oder Überstunden kompensiert. Insbesondere größere Unternehmen und internationale Konzerne nutzen RTT-Modelle, um die Arbeitszeiten an betriebliche Anforderungen anzupassen. Zudem setzen einige Arbeitgeber auf individuelle Vereinbarungen oder flexible Arbeitszeitkonten, um produktive Phasen gezielt zu verlängern, während weniger intensive Zeiten für den Abbau von RTT oder Überstunden genutzt werden.

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2. DAS KONZEPT DER RTT (RÉDUCTION DU TEMPS DE TRAVAIL)

Wenn Unternehmen ihre Mitarbeiter länger als 35 Stunden pro Woche beschäftigen möchten, stehen ihnen zwei Hauptoptionen zur Verfügung:

  1. Vergütung der Überstunden mit entsprechenden Zuschlägen.
  2. Vergabe von RTT-Tagen als zusätzliche freie Tage.

2.1 Wie funktioniert RTT?

Arbeitet ein Mitarbeiter beispielsweise 39 Stunden pro Woche, entstehen ihm pro Jahr etwa 10 bis 12 RTT-Tage als zusätzlicher Urlaub. Diese Tage können gesammelt oder individuell genommen werden. Die konkrete Anzahl hängt von der Unternehmenspraxis und dem jeweiligen Tarifvertrag ab. Einige Unternehmen erlauben eine flexible Ansammlung von RTT-Tagen, die im Laufe des Jahres genommen werden können, während andere sie in festen Blöcken vorgeben.

Zusätzlich müssen Unternehmen sicherstellen, dass die RTT-Tage korrekt dokumentiert und verwaltet werden, um Konflikte mit den Arbeitszeitvorgaben und der Produktivität zu vermeiden. Besonders in großen Betrieben oder in Branchen mit schwankender Arbeitsbelastung kann dies eine Herausforderung darstellen.

2.2 RTT vs. Überstundenvergütung

  • RTT ist vorteilhaft für Unternehmen, weil sie die Mehrarbeit nicht mit hohen Zuschlägen vergüten müssen und gleichzeitig eine gewisse Flexibilität in der Arbeitszeitgestaltung ermöglichen.
  • Arbeitnehmer profitieren von zusätzlichen freien Tagen, die zu einer besseren Work-Life-Balance führen und somit die Arbeitszufriedenheit erhöhen.
  • Planungskomplexität: Die zusätzliche Freizeit muss effizient organisiert werden, um Produktivitätsverluste zu vermeiden. Unternehmen müssen interne Systeme und Prozesse schaffen, um den reibungslosen Ablauf der RTT-Regelung zu gewährleisten. Dies kann durch klare Regeln zur Beantragung und Genehmigung der freien Tage geschehen.

2.3 Branchenspezifische RTT-Modelle

RTT wird in vielen Unternehmen als Mittel zur Flexibilisierung genutzt, insbesondere in Branchen, die saisonale oder schwankende Arbeitsbelastungen haben. In der Industrie, im Einzelhandel oder in IT-Dienstleistungen gibt es oft spezifische Vereinbarungen, die über das gesetzliche Minimum hinausgehen. Manche Tarifverträge erlauben es, RTT-Tage zu sparen oder auszuzahlen, um den Bedürfnissen der Arbeitnehmer gerecht zu werden.

Darüber hinaus nutzen einige Unternehmen innovative Modelle, bei denen RTT nicht nur zur Arbeitszeitverkürzung, sondern auch zur Förderung von Weiterbildungen oder zur Teilnahme an sozialen Projekten genutzt werden kann. Solche Ansätze tragen dazu bei, das Engagement der Mitarbeiter zu erhöhen und gleichzeitig gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen.

3. ÜBERSTUNDEN IN FRANKREICH: REGELN UND KOSTEN

Wenn Unternehmen sich entscheiden, über die 35-Stunden-Woche hinausgehende Arbeit nicht durch RTT-Tage, sondern durch Überstundenvergütung zu regeln, entstehen zusätzliche Kosten. Diese können sowohl direkte Lohnzuschläge als auch indirekte Kosten in Form von steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Abgaben umfassen. Daher ist es für Arbeitgeber entscheidend, die gesetzlichen Vorgaben und finanziellen Auswirkungen zu verstehen, um eine effiziente Personalstrategie zu entwickeln.

3.1 Überstundenvergütung

  • Die ersten 8 Überstunden (bis 43 Stunden/Woche) müssen mit mindestens 25 % Zuschlag vergütet werden.
  • Ab der 9. Überstunde beträgt der Zuschlag mindestens 50 %.
  • In bestimmten Branchen oder per Tarifvertrag können höhere Vergütungssätze vereinbart sein.

Zusätzlich zur gesetzlichen Mindestvergütung haben einige Unternehmen mit Gewerkschaften oder in Branchenvereinbarungen spezifische Regelungen getroffen, die teils noch höhere Zuschläge vorsehen. Diese können saisonal oder je nach Unternehmenssituation variieren.

3.2 Sozialabgaben und Steuerbelastung

In Frankreich sind Überstunden teilweise steuerfrei, was bedeutet, dass Arbeitnehmer auf einen Teil ihres zusätzlichen Einkommens keine Einkommensteuer zahlen müssen. Dies erhöht den Anreiz für Mitarbeiter, Überstunden zu leisten. Allerdings bleiben die Überstunden weiterhin sozialversicherungspflichtig, was für Arbeitgeber mit zusätzlichen Kosten verbunden ist.

Seit einigen Jahren gibt es politische Diskussionen darüber, inwiefern Überstunden noch weiter steuerlich entlastet oder durch alternative Modelle wie zusätzliche Urlaubstage (RTT) ersetzt werden können. Die französische Regierung hat in der Vergangenheit bereits steuerliche Erleichterungen für Überstunden eingeführt, um Unternehmen flexibler zu machen und die Kaufkraft der Arbeitnehmer zu steigern.

3.3 Strategien zur Minimierung der Überstundenkosten

Unternehmen, die häufig mit Überstunden arbeiten, sollten die finanziellen Konsequenzen sorgfältig prüfen und gegebenenfalls auf flexible Arbeitszeitmodelle oder RTT setzen. Einige bewährte Ansätze zur Reduzierung von Überstundenkosten sind:

  • Einsatz von flexiblen Arbeitszeitkonten, um Mehrarbeit auszugleichen, ohne sofortige Lohnzuschläge zu zahlen.
  • Effektive Schichtplanung, um Arbeitsspitzen besser zu verteilen und Überstunden zu minimieren.
  • Einsatz von Zeitarbeitskräften oder befristeten Verträgen in saisonalen Hochzeiten.
  • Förderung von Homeoffice und Remote-Arbeit, um unnötige Überstunden durch lange Pendelzeiten zu reduzieren.

Letztendlich müssen Unternehmen die Balance zwischen betrieblicher Effizienz und Arbeitnehmerzufriedenheit finden, da eine übermäßige Anzahl von Überstunden langfristig zu erhöhter Arbeitsbelastung und Unzufriedenheit der Mitarbeiter führen kann.

4. HERAUSFORDERUNGEN UND BEST PRACTICES FÜR DEUTSCHE UNTERNEHMEN

Deutsche Unternehmen, die sich in Frankreich niederlassen oder dort Personal einstellen, stehen vor mehreren Herausforderungen, die sich aus den unterschiedlichen Arbeitszeitregelungen und der kulturellen Arbeitsweise ergeben. Eine erfolgreiche Anpassung an die französischen Gegebenheiten erfordert eine durchdachte Strategie und flexible Ansätze.

4.1 Herausforderungen für deutsche Unternehmen

Die Anpassung an den französischen Arbeitsmarkt bringt für deutsche Unternehmen einige zentrale Herausforderungen mit sich. Besonders die Unterschiede in der Arbeitskultur und die gesetzlichen Bestimmungen rund um Arbeitszeiten und Überstundenvergütung können erhebliche Auswirkungen auf die betriebliche Organisation und Kostenstruktur haben:

  • Unterschiedliche Arbeitskultur: In Deutschland gelten lange Arbeitszeiten oft als Zeichen von Engagement und Leistungsbereitschaft. In Frankreich hingegen ist eine ausgewogene Work-Life-Balance gesetzlich verankert, und Arbeitnehmer legen großen Wert auf ihre Freizeit. Unternehmen müssen lernen, mit diesen unterschiedlichen Erwartungen umzugehen.
  • Höhere Personalkosten durch Überstunden: Während Überstunden in Deutschland in vielen Branchen üblich sind und oft durch flexible Regelungen abgefangen werden, sind sie in Frankreich aufgrund gesetzlicher Zuschläge deutlich teurer. Unternehmen müssen alternative Modelle wie RTT in Betracht ziehen, um Kosten zu reduzieren.
  • Flexibilitätsanforderungen: Viele deutsche Unternehmen setzen auf flexible Arbeitszeiten und Jahresarbeitszeitkonten. In Frankreich erfordert die starre gesetzliche Regelung eine präzisere Planung und eine Anpassung der Unternehmensrichtlinien an die lokalen Bestimmungen.

4.2 Best Practices zur Anpassung der HR-Politik

Um in Frankreich erfolgreich zu sein und wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen deutsche Unternehmen ihre Arbeitsmodelle überdenken und an die spezifischen rechtlichen und kulturellen Gegebenheiten anpassen. Dabei spielt nicht nur die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben eine Rolle, sondern auch die Schaffung attraktiver Arbeitsbedingungen für französische Arbeitnehmer:

  • Flexible Arbeitszeitmodelle implementieren: Die Einführung flexibler Schichtsysteme oder Jahresarbeitszeitkonten kann dazu beitragen, gesetzliche Vorgaben einzuhalten, ohne die betriebliche Effizienz zu gefährden.
  • RTT als Vorteil für Arbeitnehmer nutzen: Unternehmen können RTT gezielt als Benefit einsetzen, um sich als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren. Eine transparente und strategische Vergabe der freien Tage kann die Mitarbeiterzufriedenheit und -bindung steigern.
  • Überstunden sorgfältig planen: Statt auf Überstunden als gängiges Modell zu setzen, sollten Unternehmen ihre Arbeitsplanung optimieren und saisonale Auftragsschwankungen mit alternativen Methoden wie Zeitarbeit oder flexibler Schichtplanung ausgleichen.
  • HR-Richtlinien an französische Gesetze anpassen: Unternehmen sollten ihre Personalrichtlinien regelmäßig überprüfen und an die gesetzlichen Bestimmungen anpassen, um rechtliche Risiken zu minimieren und gleichzeitig eine effiziente Arbeitsorganisation zu gewährleisten.

Durch die richtige Balance zwischen Compliance und betrieblicher Flexibilität können deutsche Unternehmen ihre Arbeitsmodelle erfolgreich an die französischen Gegebenheiten anpassen und sowohl wirtschaftliche Effizienz als auch Mitarbeiterzufriedenheit sicherstellen. Eine gezielte Anpassung der internen Prozesse kann dabei helfen, nicht nur gesetzeskonform zu handeln, sondern auch eine langfristige Mitarbeiterbindung zu fördern.

Zwischen Gesetz und Praxis: Wie deutsche Unternehmen die französische Arbeitszeitregelung meistern

Die 35-Stunden-Woche und das RTT-System sind zentrale Elemente des französischen Arbeitsrechts und stellen deutsche Unternehmen vor Herausforderungen, die über die reine Anpassung von Arbeitszeitmodellen hinausgehen. Neben den gesetzlichen Vorgaben müssen deutsche Arbeitgeber auch kulturelle Unterschiede und Erwartungen der französischen Belegschaft berücksichtigen, um langfristig erfolgreich zu sein.

Eine erfolgreiche HR-Strategie in Frankreich erfordert eine flexible Herangehensweise, die sowohl betriebliche Effizienz als auch Mitarbeiterzufriedenheit sicherstellt. Unternehmen sollten ihre Personalpolitik aktiv anpassen, um die Vorteile der RTT-Regelung zu nutzen, kostspielige Überstunden zu minimieren und wettbewerbsfähig zu bleiben. Dies kann durch den gezielten Einsatz von flexiblen Arbeitszeitmodellen, strategische Planung von RTT-Tagen und eine transparente Kommunikation mit den Mitarbeitern erreicht werden.

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